29.08.2014

Filmanalyse: Under The Skin

Wer mich kennt, weiß wie sehr ich unkonventionelle Sci-Fi Filme mag, die eine interessante Message mit noch nie dagewesenen Konzepten und Bildern verknüpfen. Daher wird auch niemanden überraschen, wie groß meine Liebe zu Moon, 2001 - A Space Oddissey oder District 9 ist. Auch das 2013er Meisterwerk Upstream Color, der atemberaubende Film von Shane Carruth (dem wir auch den genialen Film Primer zu verdanken haben), kletterte nicht umsonst auf Platz 2 meiner Liste der besten Filme des Jahres. Ein ganz ähnliches Erlebnis hatte ich neulich mit dem hierzulande am 10. Oktober auf DVD und Blu-Ray erscheinenden Film: Under The Skin von Jonathan Glazer (Sexy Beast, Birth). 

Der Film, welcher im Frühjahr in den USA und UK im Kino lief, bekommt in Deutschland leider keine Kinoveröffentlichung. Das liegt jedoch weniger an der Qualität des Films, sondern lediglich daran, dass der deutsche Filmverleih Senator Film (der die Rechte am Film besitzt), offenbar nach seinem letzten großen Hit Ziemlich beste Freunde nur finanzielle Gurken ins Kino brachte, sodass ihnen für einen angemessenen Kinostart für Under The Skin das Geld fehlt. Ein durchaus tragisches Schicksal, da nun viele Fans von intelligenter, herausfordernder Filmunterhaltung auf Blogs wie Movie Attack Force angewiesen sind, um von dieser Genreperle zu erfahren. 

Der folgende Text ist allerdings nicht als klassisches Review zu verstehen, sondern als detaillierte Analyse des Filmes und dessen unterschwelliger Thematik. Ich versuche wie auch in jedem meiner Reviews grobe Spoiler zum Inhalt zu vermeiden - garantiere jedoch für nichts!


Alle, die nach dieser kurzen Empfehlung also planen, den Film unvoreingenommen zu sehen, sind hiermit also gewarnt, oder sollten jetzt bis zu meinem Fazit ans Ende des Textes scrollen. 

Under The Skin ist einer dieser Filme, von denen man in den Mainstream Medien vermutlich nur sehr wenig mitbekommt. Hier handelt es sich nicht um Popcorn Kino und auch, obwohl mit der Hauptdarstellerin Scarlett Johansson (Lucy, Avengers, Captain America 2: The Winter Soldier, Die Insel) eine weltbekannte Schauspielerin mitspielt, bietet der Film keine Unterhaltung für die breite Masse. Der Film ist vom außerordentlich talentierten Regisseur Jonathan Glazer fast ohne Dialoge und mit langen, tristen Kamerafahrten gedreht worden. Auch der bohrende Soundtrack und die bedrückend stillgelegte Farbsättigung in Under The Skin erfüllen einen Zweck. Welcher das ist, erklärt sich sicherlich im Laufe der Analyse von selbst.

Der Film beginnt mit einer langen Sequenz, in der sich verschiedene abstrakt wirkende Formen zu einer Pupille zusammensetzen. Hier wird offenbar eine Geburt oder etwas in der Art dargestellt, da die Symbole an einen Embryo erinnern könnten. Auch die fluoreszierenden Lichter unterstützen den Eindruck. Darüber hören wir in einem Voice-Over (also Stimme über Bildmaterial), wie unsere namenlose Hauptfigur (gespielt von Scarlett Johansson) versucht verschiedene Vokale zu formen. Offenbar lernt sie gerade das Sprechen. Schnell finden wir heraus, dass sie ein außerirdisches Wesen ist. Warum genau sie Menschengestalt annimmt, und was sie überhaupt hier will, lernen wir später.

In der nächsten Szene sehen wir einen Motorradfahrer. Er ist die andere wichtige Figur im Film. Wir sehen in einem faszinierend beleuchteten Shot, wie er am Straßenrand in der Dunkelheit verschwindet, und mit einem bewusstlosen Frauenkörper über der Schulter wieder ins Licht schreitet. Direkt darauf sehen wir, wie unsere Hauptfigur (ich nenne sie zum Verständnis in Zukunft einfach Scarlett), welche nackt in einem absolut weißen Raum über eben diesem Frauenkörper steht, die Kleidung der Frau entfernt und sie sich selbst anzieht. Erst könnte man denken, dass die Frau tot sei, doch sehen wir, als Scarlett sie fast komplett entkleiden konnte, wie Tränen ihr regloses Gesicht herunter liefen. Als Scarlett - nun komplett bekleidet - über dem reglosen Körper stand, bemerkt sie eine Ameise, die sich auf der Frau befand. Sie sammelte sie auf und beobachtete sie einen kurzen Moment, bevor die Szene in die nächste Sequenz überging. Wer genau diese Frau gewesen sein könnte, greife ich zum Ende der Analyse noch ein mal auf. Es sei jedoch so viel gesagt: die Ameise war das erste Lebewesen von der Erde, welches Scarlett zu Gesicht bekam.

Danach sehen wir, wie über einem Hochaus diverse Lichter (möglicherweise Raumschiffe) im Nebel aufleuchteten, während Scarlett die Treppen des Gebäudes hinab steigt. Unten angekommen setzt sie sich in einen weißen Van, mit dem sie offenbar sehr zielstrebig zu einem Einkaufszentrum fährt. Dort angekommen, beobachtet sie menschliches Verhalten - speziell weibliches - und observiert in einer Kosmetik-Boutique die Oberflächlichkeit der Menschen. Diese emuliert sie, indem sie sich selbst Lippenstift aufträgt. Offenbar hat Scarlett eine klare Mission. Hier wird bereits der erste wichtige Clou des Filmes offenbart. Under The Skin (dt. Untder der Haut) macht ein paar interessante Statements über die Obsession des Menschen nach Schönheit. Viel zu selten interessiert uns, was UNTER DER HAUT stecken könnte. 

Kurz darauf sehen wir Scarlett wieder in dem weißen Van sitzen. Sie ist offenbar auf der Jagd nach Männern. Achtet hier unbedingt auch auf die musikalische Untermalung, welche jedes mal läuft, wenn Scarlett nach Beute sucht. Sie spricht verschiedene Männer durch das heruntergekurbelte Fenster ihres Fahrzeugs an und versucht ein geeignetes Opfer zu finden (sie fragt z.B. stets ob die Männer alleine sind, oder aus der Umgebung kommen, etc.). Interessanterweise scheinen viele der Männer die sie angesprochen hatte keine Schauspieler gewesen zu sein. Diese Szenen wurden tatsächlich mit einer verstecken Kamera gedreht und hatten Scarlett tatsächlich in dem Van durch Schottland (dort spielt der Film) fahren und Männer aufgabeln lassen. Einige der Männer die wir also im Film sehen, haben danach Einverständniserklärungen unterschrieben, damit man ihr Filmmaterial nutzen darf. 

Nach einigen Versuchen schafft sie es, einen geeigneten Mann mit der Aussicht auf Sex in einen pechschwarzen Raum zu locken. Scarlett zieht sich aus, während sie langsam in die andere Ecke des Raumes läuft. Der Mann, welcher sich ebenfalls entkleidet, folgt ihr fast wie in Trance und versinkt schnell ohne es zu Merken in einer treibsandartigen, schwarzen Flüssigkeit (diese Sequenz erinnert stark an Kurt Cobains Lyrics aus dem Nirvana Song "Heart Shaped Box": “I’ve been drawn into your magnet tar-pit trap"). Die Falle hat perfekt funktioniert und schnappte ohne Skrupel zu. Ganz trocken sammelt Scarlett ihre Kleidung auf und begibt sich erneut auf die Suche. 

Als nächstes sehen wir Scarlett, die an der Küste in einem Gespräch versucht, einen Strandbesucher zum Mitkommen zu überzeugen. Der Smalltalk wird jedoch von den Hilferufen einer Frau unterbrochen, die im harten Wellengang zu ertrinken drohte, als diese ihrem hinaus getriebenen Hund retten wollte. Auch der Ehemann, welcher wiederum versuchte, seine Ehefrau zu retten droht zu ertrinken. Der Strandbesucher, welcher sich fast schon von Scarlett hat mitnehmen lassen, versucht die ertrinkenden Leute zu retten. Das jedoch zu spät und ohne großen Erfolg, wodurch der Schwimmer sich nur noch selbst erschöpft an Land retten konnte. Scarlett nutzt die Gelegenheit und zerrt den Mann zu ihrem Van, nachdem sie ihn mit einem Stein erschlagen hatte. Während wir sehen, wie Scarlett den toten Mann vom Strand wegzog, sehen wir das weinende Baby der in den Wellen umgekommenen Familie, welches komplett und völlig emotionslos von Scarlett ignoriert wird. Auch hier hören wir im Hintergrund wieder die mysteriöse Musik, die erklingt, wenn Scarlett ein Opfer jagt. Später sehen wir den selben Strand bei Nacht. Wir beobachten, wie der Motorradfahrer vom Beginn des Films die Überreste der ertrunkenen Familie einsammelt. Offenbar um jegliche Spuren zu verwischen. Auch er lässt das noch immer schreiende Baby links liegen. 

Nun wird der Film besonders interessant. Wir sehen, wie Scarlett in einem Nachtclub nach Beute sucht. es ist ziemlich deutlich zu erkennen, dass sie derartiges noch nie zuvor erlebt hat und flüchtet vor den grellen, pulsierenden Lichtern und der viel zu lauten, elektronischen Musik. Diese Szene wurde ganz bewusst im POV-Stil gedreht (Point of View - wir sehen und erfahren alles aus dem direkten Blickwinkel der Hauptfigur). Es fällt uns als Zuschauer ebenfalls schwer, diesen grauenhaft wirkenden Ort zu erdulden. Die Lichter, die Enge, all dies Zeigt uns, wie furchtbar und abscheulich eine Disco tatsächlich für unsere Sinne ist. Dennoch schafft sie es, auch hier ein Opfer zu finden, welches mit der Aussicht auf Sex mit in ihren pechschwarzen Raum kommt. Wie bereits beim ersten Mal sehen wir den Vorgang, mit dem Scarlett den hypnotisiert wirkenden Mann in die Falle lockt. Nur diesmal sehen wir, wie es "unter Wasser" aussieht. Als der ahnungslose Mann realisiert, dass er gefangen ist, sehen wir den verschrumpelten Körper des ersten Opfers. Ich verarsche euch nicht - dass, was wir dann sehen wird sich für immer in eure Köpfe brennen. Wir sehen, wie der komplette Inhalt des Mannes plötzlich abgesaugt wurde und nur noch ein wabbelnder Hautlappen von ihm zurück blieb. Die Innereien des "abgesaugten" Opfers sehen wir dann ein rotes Fließband entlanglaufen. Offenbar sind die Außerirdischen hinter dem Fleisch der Menschen her. 

In der darauffolgenden Szene sehen wir Scarlett erneut in ihrem Van. Ein Rosenverkäufer gibt ihr eine Rose, an dessen Stil sich ein Tropfen Blut des Mannes befand. Scarlett studiert dieses Blut mit Argwohn und erkennt, dass es den Mann offensichtlich Schmerzen bereitet haben muss. Es ist offenbar das erste Mal, dass sie versteht, wie ein Mensch fühlt.

Auch der Motorradfahrer ist wieder zu sehen. Er steht in der nächsten Sequenz der regungslosen Scarlett gegenüber und mustert sie eingehend. Intensiv starrt er in ihre Augen. Möglicherweise stimmt etwas nicht...

In der darauffolgenden Szene sehen wir wie Scarlett ausrutscht. Menschen kommen ihr zur Hilfe und wir erkennen, dass dieses Verhalten in Scarlett etwas auslöst. Das war der Moment, in dem der Film einen Richtungswechsel andeutet. Erneut auf der Jagd sammelt Scarlett diesmal einen Mann auf, dessen Gesicht komplett deformiert ist. Sie lernt in ihrem typischen Smalltalk mit dem eindeutig körperlich behinderten Mann, dass er keine Freunde und noch nie eine Frau bzw. Freundin hatte. Auch ihn lockt sie in ihre Falle. Als sie jedoch den Raum verlässt und eine Fliege bemerkt, die vergeblich versucht durch die Glasscheibe an der Eingangstür in die Freiheit zu gelangen, ereilt sie ein Sinneswandel. Sie beobachtet sich selbst im Spiegel und erkennt, was sie den Männern antut. Sie befreit den deformierten Mann und entlässt ihn in die Welt, während sie selbst, völlig überwältigt von ihren Gefühlen mit dem Van wegfährt. 

Der Motorradfahrer scheint jedoch über jede ihrer Handlungen im Bilde zu sein und bringt den entkommenen Mann um. Scarlett selbst, die nun zum ersten mal menschliche Emotionen zeigt, sitzt nun in einem Café und versucht ein Stück Kuchen zu essen. In der Hoffnung, wie ein normaler Mensch zu sein, führt sie ein Stück von der Gabel zu ihrem Mund (auch dies sehen wir wieder in einer POV-Einstellung), spuckt dieses jedoch umgehend wieder aus. Ihr Gesichtsausdruck zeigt uns, dass sie furchtbar verwirrt ist und gänzlich überfordert. Auch als sie in einem Bus einen Mann kennen lernt, der ihr Hilfe anbietet, bleibt sie stumm und rastlos. Erst, als der nette Mann Musik abspielt, beginnt Scarlett sich zu beruhigen. Sie wippt sogar ihre Finger zum Takt der Melodie. Am Ende versucht sie sogar, richtigen Sex mit diesem Mann zu haben, ist aber komplett geschockt, als dieser sie penetriert. Verängstigt rennt sie in den nächstgelegenen Wald, wo sie in einer Hütte versucht zu schlafen. Als sie jedoch aufwacht sehen wir, wie der Förster (oder irgendwie eine Art von Arbeiter im Wald) versucht sie zu vergewaltigen. Scarlett rennt weg, wird jedoch von dem Vergewaltiger eingeholt. Die Musik, welche sonst immer erklang, wenn sie auf der Jagd nach Männern war, erklingt nun auch als sie selbst die Beute ist. Der Mann reißt ihr die Kleider vom Leib und wirkt plötzlich geschockt. Wir erkennen, dass Scarletts haut bei diesem Übergriff Risse bekommen hat, welche einen Spalt ihrer wirklichen, pechschwarzen Haut offenbart. Während der Waldarbeiter weg rennt, beginnt Scarlett sich ihre Menschliche Haut vom Körper zu reißen. Ihre wahre Erscheinung wird offenbart und wir sehen eine glatte, dünne, komplett schwarze Kreatur zum Vorschein treten, die sich den Hautfetzen ihres menschlichen Gesichts genau anschaut. Währenddessen kommt der Vergewaltiger zurück gerannt und übergießt Scarlett mit Benzin, welches er ohne zu zögern anzündet. Scarlett rennt zwar noch angst- und schmerzerfüllt davon, bricht dann aber bald darauf brennend zusammen. Der Film endet mit dem Motorradfahrer, der auf einem Hügel stand und offenbar nach Scarlett suchte. 

Offensichtlich war es nicht das erste mal, dass sich die Jägerinnen in ihrer oberflächlichen Menschlichkeit verirren. Die Tränen der reglosen Frau, die der Motorradfahrer zum Beginn des Filmes ergriff, deuten an, dass sie ebenfalls ein Alien war, welches vor Scarlett die Mission hatte, Männer zu fangen. Als der Motorradfahrer tief in Scarletts Augen sah, schien er bereits zu mustern, ob es nun auch bei ihr soweit war, dass sie ihr Mitgefühl für die Menschen entdeckte. Hier lassen sich Parallelen zu Menschen ziehen, die aufhören Tiere zu töten und zu essen, nachdem sie erkannt haben, dass auch diese Tiere empfindsame Wesen sind, die Mitgefühl haben (und ihr halfen als sie ausrutschte), Schmerz fühlen (das Blut an der Rose) und Sehnsüchte verspüren (der deformierte Mann). Der Motorradfahrer war also das Alien, welches den Prozess des "Menschenfarmens" überwachte und einschreitet, sobald eine Jägerin zulässt dass diese Emotionen ihre Mission korrumpieren. Doch ihre Versuche ein Mensch zu sein funktionieren auch nicht, weil sie unter ihrer Haut kein Mensch ist. Das sorgt im Film für erstklassige Chancen, menschliches Verhalten von einer außenstehenden Perspektive darzustellen. Der Film entlarvt unsere Oberflächlichkeit (die Kosmetik, die Disco, der Kuchen und generell all die Männer die zu einer fremden aber attraktiven Frau in einen Van einstiegen, obwohl sie diese gar nicht kannten) und tut dies schonungslos und auf brutalste Weise. 

Interessant ist auch, dass der Film auf einem Roman basiert, der jedoch noch etwas genauer die Gründe für die Jagd erklärt. Diese Details sind allerdings nicht zwangsläufig notwendig, da Jonathan Glazer mit seiner überwältigenden Bildsprache bereits alles zeigt, was wir wissen müssen. Under The Skin ist ein Film, der viele Zuschauer überfordern wird, da sie angehalten werden, einen Film aufmerksam zu schauen und selbst in der Verantwortung stehen die Punkte zu verbinden. Under The Skin schenkt uns nichts, wir müssen es uns verdienen. Das macht den Film so genial. Auch Scarlett Johansson, die mich immer wieder aufs neue mit ihrer Rollenwahl fasziniert spielt hier eine so in jeder Nuance perfekte Version einer Kreatur, die nicht von dieser Welt ist. Sie ist sogar so gut, dass mir die Dialoge (der Film ist wirklich zu 97% still) zu keiner Zeit gefehlt haben. Wer also den Film nur gucken möchte, weil die Hauptdarstellerin in vielen Szenen wirklich komplett und frontal nackt zu sehen ist, sollte sich vielleicht einfach nur die Screenshots aus dem Internet runterladen. Alle anderen können sich auf ein unvergleichliches Filmerlebnis gefasst machen.

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