18.02.2015

Review: American Sniper

Heute habe ich mal ein Review für euch, welches ein wenig von dem gewohnten Format abweicht. Wie das oft mit in den Medien wild diskutierten Kontroversen so ist, geraten viele Fakten und Meinungen durcheinander. Ganz besonders bei Erwähnung des Films American Sniper kochen speziell in den USA die Gemüter hoch und sorgen für hitzige Auseinandersetzungen in den Kommentaren verschiedenster Youtube-Videos. Der gemeine Patriot ruft American Sniper zur besten Darstellung des Krieges EVER aus (und macht ihn nebenbei zu einem der finanziell erfolgreichsten Filme der letzten Jahre), wohingegen Skeptiker und Kriegsgegner scharfe Kritik an Clint Eastwoods neuem Werk üben. Schafft man sich einen Überblick in den Nachrichten, liest man ja auch nicht selten das Wort "Propaganda". Hier in Deutschland hat man ja bereits eine lange und traurige Vergangenheit mit diesem Wort. Leider wissen viele, die das Wort Propaganda (ganz ähnlich wie mit dem Wort "Lügenpresse") um sich werfen, nicht genau, was das Wort eigentlich bedeutet. Und noch viel wichtiger im Kontext mit dem ebenfalls als Propagandafilm titulierten American Sniper: was muss in einem Film enthalten sein, um tatsächlich Propaganda zu sein? Ich habe mir mal die Mühe gemacht, es euch zu erklären. 
                                                         
Natürlich haben wir alle ein grundsätzliches Verständnis davon, was Propaganda eigentlich bedeutet. Uns ist hoffentlich allen weitgehend klar, wofür es gedacht ist (inhaltlich: Überzeugung ohne tiefere Reflexion herstellen - ästhetisch: ein Gefühl von Erhabenheit erzeugen) und in welchen Medien es angewendet werden kann (in allen). Wer bereits hier die ersten Verständnisschwierigkeiten hat, sollte sich einfach den Wikipedia Artikel zu Propaganda durchlesen. Der ist ausreichend erklärend und hilft euch auf die Sprünge zu verstehen, warum möglicherweise auch American Sniper, ein Film über den real existierenden (mittlerweile verstorbenen) Navy SEAL Scharfschützen Chris Kyle, als Propagandafilm bezeichnet wird. Ich möchte anhand des vom Joseph Goebbels (jup, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda der NS) entwickelten "Orchesterprinzips" herausfinden, ob dies tatsächlich der Fall ist. Nach diesem Prinzip müssen 7 verschiedene Dinge, wie in einem Orchester, mehr oder weniger unabhängig voneinander funktionieren (und doch gemeinsam harmonieren), um als Propaganda zu funktionieren.

Die 7 Punkte, die in einem Propagandafilm wie die Zahnräder einer Uhr ineinander greifen müssen, um effektiv zu funktionieren, sind 1. Ikonen, auf deren Schultern unsere "Revolution" getragen werden kann. Hierzu zählen natürlich nicht nur einzelne Personen, sondern auch Gruppen und Symbole. Hinsichtlich der deutschen Geschichte ist es wahrlich nicht schwer eine durch Propaganda ikonisierte Führerfigur zu finden. 2. Werte, die unseren Wünschen nach Stabilität und Aufstreben entsprechen. Diese Werte sind in der Regel älter als die Erzeuger der Propaganda, werden aber von eben diesen für eigene Zwecke instrumentalisiert. Fragt doch in diesem Zusammenhang mal Eva Hermann, warum sie denkt, dass zur Nazizeit nicht alles schlecht war. 3. Feindbild und 4. Argumentationslogik: ganz selbsterklärend wird durch die manipulative Macht der Propaganda ein klares Feindbild erzeugt, welches völlig unreflektiert ausgestrahlt wird: "Du findest keinen Job, weil billiger arbeitende Ausländer in dein Land kommen und sie dir wegnehmen".  Das ist nicht nur inhaltlich völlig an den Haaren herbeigezogen, sondern auch eine Art der Meinungsmache auf die man schnell herein fällt, da sie ganz oberflächlich betrachtet in sich Sinn macht. "Die Juden sind für das Böse auf der Welt verantwortlich. Deswegen haben sie auch Jesus Christus ans Kreuz genagelt". Die Tatsache, dass Jesus, sofern er denn jemals existiert hat, selbst ein Jude war, wird einfach nicht erwähnt. 5. Ein Unschuldsmodell aufstellen, wodurch man die eigene Bewegung als Reaktion darstellt. "Wir sind die Unterdrückten, alles was wir tun habt ihr zu verantworten, weil wir von XYZ falsch behandelt werden!". Wir alle lieben den Underdog. Im Kampf von Rocky gegen Apollo Creed sind wir natürlich für Rocky, weil er der kleine Mann ist. Stellt man sich selbst so dar, als würde man hier das "Opfer" sein, bzw. die Abwehrhaltung einnehmen, erlangt man deutlich schneller die Sympathie der Massen. 6. Reduktion macht es möglich, dass jeder der Zuschauer in der Lage ist, genau die eine Sache daraus "mitzunehmen" die der Erzeuger der Propaganda verteilen möchte. Die Reduktion reduziert die "Message" der Geschichte auf das allernötigste Minimum, damit keinerlei Missverständnis darüber aufkommen kann, gegen was der manipulierte Zuschauer aufzustehen hat. 7. Binarismus, also die eindeutige Weiß- und Schwarzmalerei, das blanke aufzeigen von "gut" und "schlecht". Dieser Punkt spielt im Grunde in jedem der anderen Punkte eine Rolle und wird hier nur noch einmal explizit erwähnt, um die Wichtigkeit zu unterstreichen. Natürlich vermischen sich die Punkte in jedem Werk zu variierendem Maße, sind aber stets präsent. 

So leider auch in American Sniper, einer schamlosen und bis in alle Maßen manipulativen Verfilmung der Autobiografie von Chris Kyle, einem mental instabilen Mörder und Lügner, welcher in den USA aus offensichtlichen Gründen als Held gefeiert wird. Warum? Der rekordbrechende Scharfschütze (er erhielt mehrere Auszeichnungen für über 160 Tötungen - weit mehr als sonst jemand im US Militär), hier gespielt von Bradley Cooper (Hangover Trilogie, American Hustle), wird nämlich nicht als der moralisch mindestens fragwürdige Charakter dargestellt, der er nun einmal war. So erzählt American Sniper, ein Film welcher, trotz der Unmengen an Lügen innerhalb des Filmes, behauptet auf wahren Begebenheiten zu beruhen, viel eher von einer Phantasiefigur mit dem selben Namen, die sich schwer vom Autor der Buchvorlage unterscheidet. Chris Kyle war nicht der zögernde und zweifelnde Mann mit dem Finger am Abzug, wie ihn Regisseur Clint Eastwood in seinem Film darstellt. Viel mehr finden sich überwältigend viele Aussagen von Chris Kyle selbst, dass er gerne noch viel mehr der, von ihm abschätzig als "Savages/Wilde" bezeichneten, Irakis erschossen hätte. "My only regret is that I didn't kill more." Speziell solche, die einen Koran mit sich führten hat der Amerikaner ins Herz geschlossen: "I don't shoot people with a korans. I'd like to, but I don't." Nicht nur liegt dabei dann der Verdacht nahe, dass nicht alle der 160 bestätigten Abschüsse wirklich klar zu erkennende Feinde waren, sondern auch, dass hier im Film eine Persönlichkeit konstruiert wurde, die in keinster Weise mit der Realität vereinbar wäre. Im Klartext heißt das, dass hier durch cleveres retuschieren der Fakten eine Ikone geschaffen wurde (1!), die sich deutlich besser in die Schablone amerikanischer Wertesysteme (2!) wie Freiheit und dem "American Way" drücken lässt. Auch die Teile des Films, die auf post-traumatischen Stress und den Zerfall von Chris Kyles Psyche hindeuten, sind bestenfalls sehr frei hineininterpretiert, so sagt er selbst "I'd be back there in a heartbeat. I'm not lying or exaggerating to say it was fun. I had the time of my life being a SEAL." Für mich ist das kein Held, sondern ein Geisteskranker. Dass dieser Mann behauptet, er hätte auf Befehl des Militärs nach der Zerstörung von New Orleans durch Hurricane Katrina über ein Dutzend Menschen (er nannte sie "Looters" - also Leute die Ruinen nach Wertgegenständen oder Essen durchsuchen) erschossen, macht die ganze Sache noch deutlich schlimmer. Entweder er ist also völlig ohne Zweifel ein herzloser Mörder, oder eben ein Lügner (es wurden nie Beweise für diese Tötungen gefunden und haben mit ziemlicher Sicherheit nie stattgefunden). Egal welche Möglichkeit stimmt, in beiden Fällen sollte man nichts auch nur im Ansatz glauben, was aus dem Mund dieses Mannes kam, geschweige denn in dem Film, der die Geschichte noch weiter verwässert, vorkommt. 

Weitere Beispiele für Propaganda finden sich in der künstlich konstruierten Rivalität mit dem Scharfschützen "Mustafa" auf Seiten der Iraker (welcher lächerlicherweise sowohl auf Seiten der Sunniten als auch auf Seiten der Shiiten kämpft - was ganz einfach niemals sein könnte). In Kyles Buch wird nur in einem Kapitel dieser andere Scharfschütze kurz erwähnt, welcher hier im Film dann als Vorlage für einen großen Antagonisten dient, auf den der Zuschauer seinen Hass projizieren kann (3!). So auch der im Film etablierte "Butcher", welcher Löcher in die Köpfe von Kindern bohrt, ist ein komplett frei erfundener Teil der angeblich wahren Geschichte. In Wirklichkeit waren es Schiiten, die solche Methoden praktizierten. Die waren allerdings in den meisten Fällen eher verbündete des US Militärs während des Irak-Krieges, der sich ja gegen die Sunniten um Saddam Hussein richteten. Doch diese komplexen politischen Nuancen wurden komplett missachtet. (6&7!)

Die größte und schlimmste Manipulation des Films allerdings ist meiner Meinung nach die Tatsache, wie dreist hier der tatsächliche Verlauf der Geschichte verändert wird. Das ist auch die Stelle, an dem jedem ganz offen klar werden muss, warum man es hier mit eindeutiger Propaganda zu tun hat. Im Film sehen wir Chris Kyle zuhause, wie er im Fernsehen das Einstürzen des World Trade Centers am elften September 2001 beobachtet. Als nächstes sieht man ihn ihm Einsatz für das US Militär im Irak. Das ist die wohl schamloseste Montage die ich seit langem in einem Film gesehen habe. So wird nämlich die direkte Verbindung von 9/11 und dem Einmarsch im Irak erklärt. Quasi das eine als Rechtfertigung für das andere. Mittlerweile wissen wir, dass der zunächst von George W. Bush vorgebrachte Grund, nämlich dass der Irak für 9/11 verantwortlich sei, falsch war. Das war al-Qaida. Dann ruderte die Bush-Regierung zurück und behauptete, dass Diktator Saddam Hussein ja Verbindungen zu al-Qaida pflegte. Was sich ebenfalls als falsch rausstellte, da dieser in Wirklichkeit mit seiner Partei ja sogar bis aufs Blut mit Jihadisten und speziell al-Qaida verfeindet war. Dann kamen natürlich weitere Sachen auf den Tisch wie Massenvernichtungswaffen (die auch nicht gefunden wurden) und der Einmarsch wegen Erdöl, was den Krieg nach internationalem Recht sogar illegal gemacht hätte. Also in einer Heldensage die auf wahren Begebenheiten basieren soll so dreist zu lügen (ja, auch das Zurückhalten von Informationen gilt in diesem Kontext als Lüge!), kann kaum offensichtlicher Propaganda sein. Regisseur Clint Eastwood, von dem wir alle bereits lange wissen, dass er erzkonservative "tea party" Politik vertritt, macht hier ein klares Statement. Keine Montage ist komplett ohne Grund so geschnitten. Schon gar nicht, wenn sie die USA in eine Opferrolle drückt und eine Reaktion rechtfertigt, ohne, dass man sie uns hinterfragen lässt. (4&5!)

Letztendlich sind damit alle Punkte der Propaganda nach Joseph Goebbels Orchesterprinzip im Film enthalten. Ein Kriegsverbrecher wie Chris Kyle (der übrigens auch in 2004 in Falludscha stationiert war - was dort vorgefallen ist, erinnert eher an einen Horrorfilm als an eine tatsächliche Militäroperation) wird als Held gefeiert und das Militär als Notwendigkeit und beste Lösung in Konflikten glorifiziert. Handwerklich ist American Sniper, wie auch leider viele der Propagandafilme der NS-Zeit, unheimlich gut gemacht. Technisch exzellent inszeniert, spannend erzählt und gut geschauspielert. Egal ob man "Kolberg" von Veit Harlan aus dem Jahre 1945 oder den widerlichen "Ich klage an" von Wolfgang Liebeneiner von 1943, oder Leni Riefenstahls "Sieg des Glaubens" (1933) und "Triumph des Willens" (1935) anschaut (was man teilweise nicht mal wirklich darf, da sie verboten sind). All diese Propagandafilme erfüllen genau wie American Sniper diese Kriterien und verpacken das ganze dank hohem Budget und talentierten Machern in teilweise exzellente Filmkunst. Clint Eastwood weiß, wie man Filme macht, und sein trockener Erzählstil funktioniert wie auch schon in seinen früheren Werken sehr gut mit dieser Materie.

Soll man den Film nun danach beurteilen wie gut er gemacht ist, oder wofür er steht? Das muss letztendlich jeder selbst wissen, ich persönlich schaue mir ja schließlich auch gerne mal polierten Müll im Kino an. Der als "Bester Film" bei den Oscars nominierte American Sniper hinterließ allerdings einen sehr abstoßenden Nachgeschmack. Sowohl wenn man sich für Militärfilme interessiert, als auch als Fan von politischen Dramen die auf wahren Begebenheiten basieren, findet man unzählige andere, bessere Alternativen.

2 Kommentare:

  1. Mein Eindruck:
    Technisch ein super Film, ohne Zweifel. Inhaltlich irgendwo zwischen langweilig und kurz vorm Einschlafen.
    Auf die Ausbildung hätte mehr eingegangen werden müssen, denn dort beginnt der Krieg im Kopf und auf genau dieses Thema versucht der Film immer wieder vergeblich abzuzielen. Einige Fakten wurden komplett verworfen und verwürfelt. Da waren der letzte Part von Captain Phillips und Lone Survivor deutlich spannender und richtiger im Zusammenhang mit dem Einsatz dieser Elitesoldaten.
    Da es momentan auch ganz "hip" scheint, diese real existierend geringe Menge an SEALs zu heroisieren dürfen wir mehr oder minder gespannt auf die Verfilmung der widerwärtigen Lektüre "no easy day" warten.
    Wer eine saubere und kritische Betrachtung von Krieg und auch etwas spannende Ballerei sehen will greift besser zu den Klassikern Apocalypse Now, Platoon, FMJ, Geboren am 4. Juli, Jarhead und co.

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