29.10.2014

Halloween Tipp: Die Fliege vs. Franz Kafka

Oft wurde ich in den letzten Tagen gebeten, für diverse Halloween-Filmeabende entsprechende Empfehlungen auszusprechen. "Was ist der krasseste Horrorfilm den du kennst?", "Kennst du einen Film wo so richtig krasser Shit passiert?" und Fragen dieser Art kommen mir dann gern mal unter. Natürlich soll ein Horrorfilm schon ein bisschen "krass" sein. Schockfaktor ist für dieses Genre so wichtig wie das Butter für das Brot. Aber würde man mich schlecht kennen, wenn man wirklich denkt, ich könnte mich damit zufrieden geben. Glücklicherweise kann ich dennoch ein paar Filme empfehlen, die ihren Ansprüchen gerecht wird UND darüber hinaus sogar noch gewissen filmischen Anspruch mitbringt. Über meinen Lieblings-Horrorfilm Das Ding aus einer anderen Welt habe ich ja bereits eine ausführliche Kolumne geschrieben. Doch da gibt es noch einen weiteren Horror-Klassiker aus den 80ern, der auch fast 30 Jahre später mit neuester digitaler Filmtechnologie mithalten kann. Die Rede ist selbstverständlich von David Cronenbergs Hit: Die Fliege.

Doch zählt dieser Film nicht nur durch seiner phantastischen Machart zu meinen absoluten Horror-Favoriten, auch die unverkennbaren Parallelen zu einem Werk eines der (für mich) wichtigsten Schriftstellern aller Zeiten, machen Die Fliege zu etwas ganz besonderem. Für diesen Film bediente sich David Cronenberg (Videodrome, eXistenZ) nämlich sicherlich ganz bewusst bei Franz Kafkas "Die Verwandlung". Wie und warum das so exzellent zusammen passt, erkläre ich euch hier!

Die Fliege von David Cronenberg aus dem Jahre 1986 ist, wie auch schon John CarpenterDas Ding aus einer anderen Welt von 1982, eines der wenigen Remakes (das Original von Die Fliege erschien 1958), welches ihr Original in allen Belangen überflügeln konnte. Nicht nur schafft das man es, aus der Anhäufung von Horrorfilm-Klischees und dem Melodrama des Originals, eine viel tiefschürfendere Erfahrung zu destilieren - auch im Bereich der Effekte überzeugte man Mitte der 80er Jahre mit so markerschütternden Make-Up Tricks, dass selbst die Academy gezwungen war den Film zu ehren. Im selben Jahr verliehen diese nämlich für die im Film zu sehenden Effekte einen Oscar für das beste Make-Up an den zuständigen Make-Up Artist Chris Walas (der hat später übrigens auch das Aussehen der Gremlins erdacht und bei dem Kreaturendesign von Star Wars - Die Rückkehr der Jedi-Ritter beratend zur Seite gestanden).

Im Film geht es, um es in groben Zügen zu umschreiben, um einen leicht zerstreuten aber sympathischen Wissenschaftler namens Seth Brundle, gespielt von Jeff Goldblum (Independece Day, Jurassic Park) der eine Maschine konzipierte, die es ermöglicht, Dinge von einen Ort an einen anderen zu teleportieren. Mit diversen Gegenständen gelang der Vorgang auch stets einwandfrei, lebende Testobjekte wurden zunächst bei jedem Versuch quasi "auf Links" gezogen, sodass ihre Innereien nach außen gekehrt waren - was natürlich zum Tode des Testobjektes führte. Des Rätsels Lösung auf der Spur verbesserte er den Vorgang weiter und versucht eines Nachts, getrieben von Liebeskummer, Hochmut und Alkoholeinfluss, sich selbst zu teleportieren. Zunächst scheint dieser Versuch auch erfolgreich verlaufen zu sein, jedoch bemerkt Seth schnell kleinere Veränderungen an seinem Körper und in seiner Wahrnehmung. Was er nämlich beim Teleportationsversuch nicht bemerkte: eine Stubenfliege verirrte sich mit ihm in die Maschine, was dazu führte, dass sich die DNA der beiden Lebenwesen kreuzte. Ganz nach Filmlogik transformiert sich Seth nun immer weiter und immer aggresiver in eine riesige, lebensgroße Insektenkreatur. 

Die Geschichte, welche zunächst natürlich stark nach "B-Movie" klingt, wird von Regisseur David Cronenberg allerdings mit viel Bedacht und Augenmerk auf Charaktere erzählt, sodass es dem Zuschauer nie egal ist, was als nächstes passiert. Man will eigentlich auch gar nicht, dass sich irgend eine der lieb gewonnenen Figuren in ein scheußliches Monster verwandelt. Auch das offensichtlich unausweichliche, tragische Ende unserer Hauptfigur wird eine emotionale Reaktion in den Zuschauern auslösen, die unerwarteter gar nicht sein könnte. 

All dies erinnert erschreckend an mein Lieblingswerk des deutschsprachigen Schriftstellers Franz Kafka. Die Rede ist von seinem 1912 geschriebenen Erzählung "Die Verwandlung", in welcher ein junger Mann namens Gregor Samsa eines Morgens in seinem Bett aufwacht und bemerkt, dass er sich verändert hat. Er erkennt, dass er zu "einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt" wurde. Kafka erklärt hier zwar nicht, wie genau diese Metamorphose so plötzlich geschehen konnte, nutzt jedoch diese Metapher der Entmenschlichung mit so geschickter Wortwahl, dass man trotz der Ekel erregenden Schilderungen des Insektes in Menschengröße, tiefes Mitgefühl mit Gregor empfindet. 

Hier finden sich natürlich direkt die oberflächliche Ähnlichkeit, dass es hier um zwei gute Männer geht, denen die Transformation in ein riesiges Insekt einen großen Strich durch die Zukunftsplanung macht. Beide Männer verwandeln sich in riesige, ekelhafte Monster, welche jedoch zunächst an ihrer Menschlichkeit im Geiste festhalten können. Beide Männer entfernen sich im Verlauf ihrer Geschichten jedoch schlussendlich trotzdem Schritt für Schritt immer weiter von ihrer Menschlichkeit (In Die Fliege sehen wir neben der physischen Transformation auch Veränderungen in Seths Verhalten gegenüber anderen Menschen - In Die Verwandlung lesen wir beispielsweise, wie Gregor lieber verrottetes Essen zu sich nimmt, als Frisches). Doch auch am Ende gibt es entscheidende Gemeinsamkeiten.  Beide Männer entscheiden sich nämlich am Schluss der Erzählungen für den Tod, da sie ihr unwiderrufliches Dasein nicht als verstoßene, scheußliche Kreaturen fristen wollen.

Natürlich sind diese Parallelen nicht zufällig entstanden. Die Macher von Die Fliege wussten selbstverständlich, wie sehr ihr Werk an das von Franz Kafka erinnert. So zitiert der bereits in seiner Metamorphose weit fortgeschrittene Seth sogar Kafkas Geschichte. Als er sich vermeintlich endgültig von seiner Freundin verabschiedet, tut er dies mit folgenden Worten aus "Die Verwandlung": 

"Ich will damit sagen, ich bin ein Insekt, dass davon geträumt hat, ein Mann zu sein. Das geliebt hat. Doch nun sind die Träume vorbei... und das Insekt ist wach."

Selbstverständlich gibt es zwischen beiden Geschichten auch große Unterschiede. Die Verwandlung ist möglicherweise als Metapher dafür zu sehen, wie sehr seine Familie den jungen Gregor missbrauchten und wie ein Tier behandelten (auch schon, als er noch wie ein normaler Mensch aussah), Wohingegen Die Fliege möglicherweise unterschwellige Kommentare zur damalig frisch aufgekommenen AIDS Epidemie machte und möglicherweise auch als Analogie für Drogenmissbrauch verstanden werden könnte, da Seth im Film eine ganz ähnliche Reise durchmacht (zunächst gefiel ihm die Veränderung - sie machte ihn augenscheinlich euphorischer, leistungsfähiger und fitter, jedoch zerstörte sie seinen Körper im weiteren Verlauf der Geschichte). Auch seine Obsession mit der Maschine und die darunter leidende Beziehung zu seiner Freundin, scheinen eine klare Sprache zu sprechen.

Beide Geschichten sind meiner Meinung nach auf ihre eigene Weise unfassbar sehens- bzw. lesenswert und sollten von euch unbedingt mal ausgecheckt werden (Für alle, die zu cool für Bücher sind, können übrigens hier ein erstaunlich gutes Hörbuch von Die Verwandlung finden). Gerne gebe ich auch weitere Empfehlungen über Franz Kafkas Werke ab, da es meiner Meinung nach seit über einhundert Jahren kein Schriftsteller mehr geschafft hat, die deutsche Sprache so wunderschön zu verwenden, wie er. 

3 Kommentare:

  1. Naja, also ich finde die Verwandlung ne ganze Ecke anders, vor allem, da ich mit Karel Kosik übereinstimme, dass die eigentliche Hauptfigur Gregors Schwester Grete ist, an der sich eine "groteske Verwandlung" vollzieht (vgl. Kosik "Das Jahrhundert der Grete Samsa") und es eher um emotionale Kälte und "Entmenschlichung" des erkrankten Bruders geht. Bei der Fliege finde ich die von dir genannten Bezüge zu AIDS usw. ne ganze Ecke wichtiger, auch weil eben nicht der Fokus auf Seths Familie liegt, die durch das gemeinsame "Problem" zusammenwächst und den "Fremdkörper" ausstößt. Generell kann man bei Kafka ja fast sagen: "Ohne daddy issues? Ohne mich!"

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    1. Ich kann dir zwar in so weit zustimmen, dass die Interpretation der beiden Werke sicherlich in verschiedene Richtungen geht (obwohl ich dir bei deiner Vermutung, Gregors Schwester sei die eigentliche Hauptfigur der Geschichte widersprechen würde - viel mehr entlarvt sie sich im Verlauf der Geschichte sogar immer mehr als die "Böse" bzw. im weitesten Sinne als der "Antagonist"), dennoch lässt sich der "kafkaeske" Ton des Filmes nicht von der Hand weisen. Und damit meine ich nicht nur das ganz bewusst eingesetzt Buchzitat. Google mal nach dem Wort "Kafkaesk" und schau dir dessen Bedeutung (speziell in Filmen) an. Du wirst schnell erkennen, dass hier mit sehr vielen ähnlichen Stilmitteln gearbeitet wird.

      Abgesehen davon habe ich die Geschichte auch noch etwas interpretiert als du. In meinen Augen ist es nicht die Familie die zusammenwächst und das "Ungeziefer" beseitigt, sondern eine Geschichte über einen Menschen, der so von seiner Familie ausgenutzt und ausgebeutet wird, dass er selbst nur noch einem "Tier" gleicht. Man bedenke hier die Stellen der Erzählung, in der die Schwester nur nett zu ihm ist, da sie sich von ihm versprach, er könnte sie finanziell bei der Verwirklichung ihrer Wünsche helfen (was ganz schnell in große Niedertracht ihm gegenüber umschlägt). Ebenfalls zeigen viel mehr die Eltern ihr "böses" Gesicht. Eltern, die eine große Summe Geld zurückgelegt hatten, dass Gregor gar nicht so hart hätte schuften müssen, dieses jedoch vor ihm verschwiegen um noch mehr aus ihm heraus zu pressen.

      Zuletzt will ich noch mal auf die Bemerkung von Kafkas angeblichen Vaterkomplex eingehen, dessen vermeintliche Existenz meiner Meinung nach schon immer völlig überbewertet wurde. Das ist eine dieser Sachen, die nach seinem Tod immer größer aufgeplustert wurden, um den Verstand des Autors analysieren zu wollen. Ich finde es ein bisschen übertrieben, so weit zu gehen ihm dies in jeder Interpretation irgendwie zu unterstellen. Aber das soll lediglich eine Randbemerkung bleiben.

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    2. Sie mag der Antagonist sein, aber die eigentlich wirklich krasse Verwandlung findet schon irgendwie bei Grete statt, die sich am Anfang noch um ihn kümmert, ihn aber immer weniger als Mensch sieht. Gregor ist halt von einem auf den anderen Tag nutzlos und verliert so für seine Familie an Wert. Was kafkaesk ist, weiß ich wohl.

      Kafka schreibt ohnehin so, dass man sich niemals auf eine einzige Interpretation einigen könnte. Aber gerade bei der Verwandlung lassen sich starke autobiografische Bezüge feststellen, da Kafka selbst durch seine Krankheit ans Bett gefesselt war und sich als "Ungeziefer" sah. Auch die Beziehung zu seiner Familie hat er zu der Zeit in Briefen an Felice Bauer so beschrieben, dass er sich als Fremder fühlt.

      Den Vaterkomplex kann man meiner Meinung nach schon ein Stück weit behaupten. Siehe "Das Urteil" oder eben die "Briefe an den Vater". Generell scheint seine Familie für ihn nicht gerade ein Quell der Entspannung gewesen zu sein.

      Aber wie gesagt, die Diskussion ist ohnehin sinnlos, da Kafka eben nicht so schreibt, dass seine Intention glasklar zu erkennen ist. Danke für die ausführliche Antwort. :)

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